Chronik:

1504 – 1506 erbaut durch Christoph Reichartinger.
1511 Lieferung des spätgotischen Flügelaltars von Christoph Scheller.
1805 Entfernung des Giebelreiters auf Grund der Charta von Venedig.
1960 nicht sehr feinfühlige Restaurierung und Neudeckung.
2002 – 2006 umfassende Restaurierung und weitest gehende Rekonstruierung nach historischen Bilddokumenten.
17.09.2006 Einweihung der restaurierten Kapelle

Geschichte:

Die Kapelle wurde als letztes Werk im Rahmen der Bauarbeiten an der Liebfrauenkirche zwischen 1504 und 1506 durch den aus Innsbruck zugewanderten Christoph Reichartinger errichtet. In seinen Arbeiten zeigt sich der Grundzug der schwäbischen Kunst, die durch ein Streben nach allseitiger Raumharmonie geprägt war und sich in der weiten Hallenwirkung der Pfarrkirche und der Franziskanerkirche, aber auch in charakteristischen Gewölbefigurationen und Rippenprofilen dokumentiert.

Die in die alte Friedhofsmauer eingebundene Friedhofskapelle präsentiert sich als zweigeschossiger, vierjochiger Bau mit polygonalem Chorschluss und steilem, im Chorbereich abgewalmtem Satteldach. Giebelseitig führt eine Stiege mit vier Arkadenbögen zum Obergeschoss, an der steinernen Handleiste zeigen sich Kröten und Schlangen als Symbole der Vergänglichkeit. Die architektonische Gliederung erfolgt durch Sockel- u. Kaffgesims, versetzt angeordnete Eckquadern, unregelmäßig gesetzte Fensteröffnungen und Spitzbogenportale. Der Innenraum der unteren Michaelskapelle, wirkt – bedingt durch die Erhöhung des Fußbodenniveaus infolge der Überschwemmungen des Lahnbaches – gedrückt und wird durch ein anlässlich der letzten Innenrestaurierung rekonstruiertes rautenförmiges Rippennetz überfangen. Die obere Veitskapelle erweist sich als lichter, ganz den Raumidealen der schwäbischen Spätgotik verhafteter wohlproportionierter Raum. Ihr ebenfalls rekonstruiertes Rautensterngewölbe ist jenem der Liebfrauenkirche verwandt und erwächst aus halbrunden Wanddiensten.

Von der ursprünglichen Ausstattung der Michaelskapelle hat sich nur wenig erhalten. Es sind dies ein Glasgemälde (im Mittelfenster der südlichen Längswand) mit der Darstellung des Gekreuzigten aus dem Beginn des 16. Jahrhunderts, sowie eine gotische Kreuzigungsgruppe. Diese besteht aus einem überaus qualitätvollen Kruzifix mit schwenkbaren Armen und den Assistenzfiguren Maria und Johannes. Das Prunkstück der Veitskapelle bildet der fast vollständig erhaltene spätgotische Flügelaltar, urkundlich 1511 von Christoph Scheller von Memmingen geliefert.

2002 – 2006 wurde die bislang umfassendste Restaurierung in der Geschichte der Friedhofskapelle in Angriff genommen. Erklärtes Ziel war eine weitestgehende, durch historische Bilddokumente, wissenschaftliche

Befundung sowie Putz- und Farbanalysen der Werkstätten des Bundesdenkmalamtes legitimierte Wiederherstellung des ursprünglichen Erscheinungsbildes der Kapelle, das durch sekundäre Eingriffe verunklärt worden war. So konnte das 1960 aufgebrachte Eternitdach durch eine ursprünglich belegbare Kupferdeckung mit versetzten Querfälzen ersetzt werden. Bei der Fassadenrestaurierung zeigte sich, dass unter dem zementhaltigen Neuputz von 1960 rund 80 % des gotischen Originalputzes erhaltet war. Er wurde nach Abnahme der Überputzungen mittels Sinterwasser gefestigt und im Fehlstellenbereich, in Putzaufbau und -struktur dem historischen Bestand entsprechend ergänzt. Einer Konservierung und Restaurierung bedurfte auch der als Werkstein verwendete und als „Mörzenkeller“ bezeichnete Kalkstein, der von Zementplomben befreit, gefestigt und hydrophobiert werden musste.

Zusammen mit der dreimaligen Kalktünchung der beiden Traufseiten und der Apsis konnte man auch die ursprüngliche Architekturmalerei nach Befund rekonstruieren, die bislang optisch ausfransenden Außenkanten der versetzt angeordneten Eckquader und die Fenstergewände malerisch schließen und der Kapelle dadurch ihre klar strukturierte Erscheinung zurückgegeben. Die Rahmenbedingungen für die Rekonstruktion des 1805 entfernten Giebelreiters, dessen Fehlen das Erscheinungsbild der Friedhofskapelle schwer beeinträchtigte, gab Artikel 12 der Charta von Venedig vor. Nach umfangreichen Recherchen gelang es dem beauftragten Architektenteam – basierend auf historischen Bilddokumenten und dem Vergleich mit ähnlichen spätgotischen Dachreitern in Tirol und Bayern –

einen Entwurf vorzulegen, der sowohl formal als auch ästhetisch entsprach und sich harmonisch in das Gesamterscheinungsbild einfügte. Die Arbeiten wurden nicht zuletzt auch durch die Tatsache erleichtert, dass der aus Mörzenkeller bestehende Anlauf des Fassadenreiters weitestgehend erhalten war und so weitere wichtige Informationen für die Rekonstruktion des Türmchens lieferte. Den Abschluss der Restaurierungsarbeiten bildeten die beiden Kapellenräume samt künstlerischem Inventar. Dazu wurden die Wand- und Gewölbeflächen gereinigt bzw. teilweise neu gefärbelt, die Fassung der Altäre ausgebessert, die figürliche Ausstattung teilweise (stückweise in den Werkstätten des Bundesdenkmalamtes) restauriert und ein zeitgemäß schlichter neuer Volksaltar für die Veitskapelle angefertigt. Die Einweihung der frisch restaurierten Friedhofskapelle fand am 17. September 2006 statt.

Bilder:

Karte: